Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Jörg Wieland zum Antrag "Kreisfusion" im Kreistag 29.02.2012 (Es gilt das gesprochene Wort)

Anrede,
mit dem vorliegenden Antrag leiten wir einen Prozess ein, der für alle beteiligten Kommunen von großer Bedeutung sein wird.
Das Thema „Kreisreform-Kreisfusion“ oder präziser formuliert: die künftige Rolle und die künftige Aufgabe des Landkreises Göttingen in der Region Südniedersachsen, wird uns die nächsten Jahre beschäftigen. Denn unser Mandat, unser Auftrag an den Landrat, Verhandlungen mit den Landkreisen Osterode und Northeim über eine Fusion aufzunehmen und unser Haushaltsansatz in Höhe von 100.000 Euro für die Information der Öffentlichkeit verdeutlicht, dass wir uns dieser politischen Herausforderung nicht länger entziehen werden. Vielmehr werden wir uns aktiv in die Fusionsverhandlungen, die die Region Südniedersachsen bewegt, mit aller Entschiedenheit einbringen.

Meine Damen und Herren, ich lade sie ein, nicht Bremser und Blockierer zu sein, sondern sitzen sie mit am Steuer und nehmen sie diese einmalige Chance, die südniedersächsische Region neu zu gestalten, in die Hand!

Wir stehen vor riesigen Herausforderungen, denn die demographische Entwicklung trifft die Städte, Gemeinden und Landkreise in starkem Maße. Nach Berechnungen renommierter Institute, werden die Landkreise GÖ, NOM und OHA bis zum Jahr 2030 über 80.000 Einwohner verlieren und von ca. 480.000 Einwohnern auf unter 390.000 Einwohner schrumpfen. Lediglich die Stadt GÖ wird bis 2020 wachsen.
Der Bevölkerungsverlust führt zu einer Überalterung der Gesellschaft und wird unsere gesamte Infrastruktur und Daseinsvorsorge verändern (weniger Kindergärten, mehr Seniorenheime usw.). Das Freizeit- und Vereinsleben wird sich verändern, wir wissen alle die weiteren Auswirkungen.
Damit einher geht ein Fachkräftemangel in den Mittelzentren und Gemeinden des Landkreises GÖ.
Doch nicht genug:
Es wird gerne behauptet, der Landkreis GÖ sei wirtschaftlich stark und gesund, dann stelle ich mir die Frage, ob im Haushaltsplan 2012 und den Jahren zuvor falsche Zahlen eingetragen wurden. Und nehme ich dann noch die Kreiszahlen ohne die Stadt GÖ, sehen wir ernüchternde Zahlen. Fakt ist, dass keiner der der drei Landkreise gut dasteht!

Wir betrachten die Fusion der Landkreise GÖ, NOM und OHA als die politische Kardinalfrage an uns und an die Region. Wir messen ihr endlich die oberste politische Priorität bei und wir werden darauf die notwendigen politischen Antworten geben.
Lange genug wurde eine falsche und gefährliche politische Strategie verfolgt und versucht, der Öffentlichkeit weis zu machen, der Landkreis Göttingen, sein Kreistag und sein damaliger Landrat können die Hände in den Schoß legen und als unbeteiligte Beobachter von der Tribüne aus zuschauen, wie dramatisch sich die politische Landschaft um sie herum verändert.
Es wurde geglaubt, der demografische Wandel werde auf wundersame Weise einen Umweg um den Landkreis Göttingen nehmen und die Reform der Kreisebene in Niedersachsen und vor allem in der Region, direkt vor seiner Haustür, bei unseren Nachbarn in NOM und OHA - ginge uns hier in Göttingen nichts an.
Wir leben hier nicht auf einer „Insel der Glückseligen“, wo Nichtstun und das „Augen vor der Realität-Verschließen“, höchste politische Kunst seien.
Und es wurde durch die überhebliche Verweigerung jeden Gesprächs, jegliche Kommunikation mit unseren Nachbarn in dieser Frage, das Miteinander in der Region auf das Schwerste und bis heute nachwirkend beschädigt.
Damit muss nun Schluss sein!

Die drei Landkreise, mit ihren unterschiedlichen Interessen, arbeiten oft nebeneinander als miteinander, mindestens sechs Akteure sind in dem Bereich der Wirtschaftsförderung unterwegs. Meist sehen sie sich sogar als Konkurrenten an (Gewerbegebiete).
Die Zersplitterung der Akteure schlägt sich in den Fördermittelbilanzen nieder. Während der Westen Niedersachsens und auch der strukturschwache Nordosten weit überdurchschnittlich von Fördermitteln aus Hannover, Berlin und Brüssel profitieren, wird die Region Südniedersachsen abgehängt.
Vor diesem Hintergrund gebietet schon die politische Verantwortung, die Frage nach den Kommunalstrukturen in der Region auf die Tagesordnung zu setzen und ergebnisoffen zu behandeln!
Wenn wir das nicht machen, werden wir nur noch reagieren können.
Das kann doch niemand hier im Kreistag ernsthaft wollen. Dafür wurden wir nicht gewählt.

Anrede
Nun besteht die einmalige Chance für die Kreise GÖ, NOM und OHA durch Bündelung der Steuerungselemente und Nutzung von Synergien, eine gemeinsame Verwaltung aufzubauen, die modern und zukunftsorientiert aufgestellt ist.

Die Niedersächsische Landesregierung hat den Handlungsbedarf ebenfalls erkannt und ein Gutachten zu den Kommunalstrukturen in Auftrag gegeben, welches der Staatswissenschaftler Prof. Hesse im Sommer 2010 vorgelegt hat. In Folge dieses Gutachtens haben die Kreistage GÖ, NOM und OHA sowie die Stadt GÖ Prof. Hesse beauftragt, ein „Vertiefungsgutachten“ vorzulegen. Als notwendige Konsequenz aus negativer demographischer Entwicklung und politischer Zersplitterung schlägt Prof. Hesse in seinem im September 2011 vorgestellten teilregionalen Ergänzungs- und Vertiefungsgutachten eine Kommunalreform vor, an deren Ende eine Gebietskörperschaft auf Kreisebene für die Region Südniedersachsen steht, mit Göttingen als Kreisstadt und dem starkem Oberzentrum.
Unterstützt werden die Vorschläge durch den so genannten „Zukunftsvertrag“ des Landes Niedersachsen. Diese 2009 zwischen den Kommunalen Spitzenverbänden und dem Land Niedersachsen geschlossene Vereinbarung, sieht eine Entschuldungshilfe für die Kommunen vor, die sich einer freiwilligen Fusion unterziehen. Bis zu 75 Prozent der bis Ende 2009 aufgelaufenen Kassenkredite werden laut Vereinbarung im Falle einer Fusion übernommen, wenn die fusionierenden und anspruchsberechtigten Kommunen bis zum 31. März 2013 einen Antrag bei der Landesregierung stellen. Eine Fusion von Landkreisen ist allerdings kein Selbstzweck und darf nicht nur aufgrund von finanziellen Anreizen stattfinden. Dies wäre zu kurzfristig gedacht und deckt sich auch nicht mit den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Kreisreform. Eine Fusion muss die Leistungsfähigkeit der fusionierenden Gebietskörperschaften nachhaltig fördern und stärken.

Die Verwaltungen in Südniedersachsen sind für die Menschen da. Deshalb müssen die obersten Kriterien für eine Fusion die Schaffung und der Erhalt effizienter und bürgernaher Verwaltungsstrukturen sein. Eine Fusion muss als Chance verstanden werden, dezentrale Dienstleistungen der Verwaltung in der Fläche langfristig zu erhalten und auszubauen.
Allerdings muss ein Zusammenschluss der drei Landkreise auch dazu führen, dass die neue Verwaltungseinheit mehr Verantwortung für die Region übernehmen kann und darf. Dazu muss das Land Niedersachsen bereit sein, Aufgaben und Instrumente zur Steuerung der regionalen Entwicklung in die Hände eines neuen Landkreises zu legen.
Ebenso muss der neue Landkreis bereit sein, Aufgaben an seine Städte und Gemeinden abzugeben, die besondere Bürgernähe erfordern und von den Städten und Gemeinden geleistet werden können (z.B. die KfZ-Zulassung oder Hilfen im sozialen Bereich).
Ein neuer Landkreis muss von seinen Städten und Gemeinden die Aufgaben zugebilligt bekommen, die einer regionalen Gestaltung bedürfen. Dazu gehört auch die Regionalplanung.
Auch die Berufsschulplanung ist originär eine regionale Aufgabe, die in die Hände des Landkreises gehört.
Eine weitere wichtige Aufgabe ist die der Wirtschaftsförderung, die durch mehr Geschlossenheit zu einer besseren Außendarstellung der Region beitragen muss.
Die Gründung weiterer Zweckverbände oder die punktuelle Ausweitung der interkommunalen Zusammenarbeit als Allheilmittel, ist nicht überzeugend zur Bewältigung der immensen Herausforderungen.

1. Denn es drohen die Kosten von zahlreichen Kooperationen im Kleinen, die den Nutzen bei Weitem übersteigen und
2. Zweckverbände sind keine demokratisch legitimierten Gremien, denn sie sind durch die gewählten Volksvertreter nur schwer kontrollierbar und nur indirekt zu steuern.

Anrede

Es besteht eine einmalige Chance, in Südniedersachsen einen Standortkonsens herzustellen, der die politischen Kräfte bündelt und die kommunale Selbstverwaltung für unsere Bürgerinnen und Bürger stärkt.
Der Landkreis NOM hat vor dem Hintergrund der Fusionsverhandlungen, die für 2010 geplante Landratswahl abgesagt und die Amtszeit des amtierenden Landrates um zwei Jahre verlängert. Auch im Landkreis OHA hat der Kreistag die eigentlich für ab November 2011 erforderliche Neuwahl eines Landrates/einer Landrätin für zwei Jahre ausgesetzt.

Das Fenster für eine Fusion ist also weit offen und deshalb ist ein gemeinsames Handeln der Politik erforderlich, um die wichtigen Zukunftsthemen mit Aussicht auf Erfolg anpacken zu können.

Das heißt:
- den Bildungsstandort Südniedersachsen verbessern,
- den Fachkräftemangel abwenden,
- die Wirtschaft fördern,
- den demographischen Wandel gestalten,
- die Integration unserer ausländischen Mitbürger unterstützen und
- den Klimaschutz vorantreiben.

Anrede

Das Nebeneinander in Südniedersachsen muss ein Ende haben. Von einem bürgerfernen Großkreis, den die politischen Gegner dieser Lösung ansprechen, kann keine Rede sein. Ein neuer Landkreis hätte langfristig nur rund 400.000 Einwohner und wäre mit dieser Einwohnerzahl noch nicht einmal unter den 10 großen Landkreisen deutschlandweit. Seine Ausdehnung mit etwa 3.000 Quadratkilometern entspricht der des Emslandes.
Und ich meine das Emsland, dass immer wieder gerne als Vorzeige-Landkreis in Statistiken und bei politischen Vergleichen herangezogen wird. Der Landkreis Emsland zeigt mit großem Erfolg, dass diese Ausdehnung kein Hinderungsgrund für eine bürgernahe und leistungsstarke Verwaltung ist und dass mit einem geschlossenen Auftreten, eine Region sich von einer strukturschwachen zu einer wirtschaftlich prosperierenden Region entwickeln kann.

Und ich sage ihnen, das können wir auch, davon bin ich überzeugt.

Aus diesen Gründen sollte der Landkreis GÖ ergebnisoffene Verhandlungen mit den Landkreisen NOM, OHA sowie der Stadt GÖ führen.

Das 25-Eckpunkte-Papier ist dabei unsere Verhandlungsgrundlage.

Die Öffentlichkeit ist über die laufenden Ergebnisse zu informieren und wenn belastbare Ergebnisse vorliegen, müssen die Bürgerinnen und Bürger auf breiter Basis darüber informiert werden, so dass sie sich intensiv und aktiv an dem Willensbildungsprozess über eine Fusion beteiligen können.