Rede im Kreistag am 08.03.2023 in Göttingen von Dr. Dagmar Schlapeit-Beck, kulturpolitische Sprecherin der SPD-Kreistagsfraktion, zum jüdischen Gedenkbuch


Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
sehr verehrte Damen und Herren,

vor genau 90 Jahren begann die systematische Judenverfolgung durch den nationalsozialistischen Terror in Deutschland und endete in deren Vernichtung – dem Holocaust.

Die NSDAP hatte am 5. März 1933 einen großen Wahlsieg errungen. Unsere jüdischen Mitbürger spürten in Göttingen schon bald die Folgen des NS-Wahlsieges. Ein Aktionsausschuss der NSDAP hatte Maßnahmen gegen jüdische Geschäfte vorbereitet, so dass unmittelbar nach dem Wahltag Geschäfte beschmiert und Schaufenster zertrümmert wurden. Am 10.März erfolgte der erste Angriff auf die Synagoge. Am 28. März folgte ein Göttinger Pogrom als Vorlauf zum reichsweiten Pogroms am 1. April.

Das Göttinger Tageblatt missbilligte diese Art der „Verfolgung“ – beachten Sie bitte die Wortwahl, äußerte jedoch Verständnis angesichts der ,,jüdischen Hitlerhetze‘‘.

Unter Parolen wie „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!‘‘ - begann am 1. April 1933 um 10 Uhr ein reichsweiter Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte. Organisiert wurde diese antisemitische Kampagne vom "Zentral-Komitee zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze".

Symbolhaft für die nahezu widerstandslose Unterwerfung unter die NS-Herrschaft kann die reibungslose Durchführung der personalpolitischen Säuberungen aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 gelten, in deren Verlauf allein 45 Dozenten der Georgia Augusta Universität Göttingen entlassen wurden. Unter den Opfern waren so bedeutende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wie Max Born, Richard Courant, Emmy Noether, Herman Nohl, Nikolaus Pevsner, Wolfgang Stechow und Gerhard Leibholz. Von diesem Aderlass hat sich die Georgia Augusta über viele Jahre nicht erholen können.

Um an die Folgen der Judenvernichtung zu erinnern, hat der Landkreis Göttingen bereits vor 30 Jahren im Jahr 1992 das „Jüdische Gedenkbuch“ herausgegeben. Es hat den jüdischen Menschen, den Opfern in Stadt und Landkreis Göttingen ein Gesicht gegeben und galt zum damaligen Zeitpunkt als Meilenstein der Erinnerungskultur. Der verstorbene Kreistagsabgeordnete und unser Kollege Herr Prof. Manegold hatte großen Anteil an diesem Werk. Das Gedenkbuch ist heute vergriffen und bedarf einer inhaltlichen, rechtlichen und wissenschaftlichen Überarbeitung.

Es ist uns daher eine große Freude, heute einen interfraktionellen Antrag im Namen der Kreistagsfraktionen von SPD, Bündnis 90/den Grünen, der CDU, der FDP, der Linken und der FWLG, den freien Wählern im Landkreis Göttingen, einbringen zu dürfen. Zudem wurde der vorgelegte Antrag einstimmig vom Ausschuss für Kultur, Sport und Partnerschaften dem Kreistag zum Beschluss empfohlen.

Mit der Neuauflage des Jüdischen Gedenkbuches bringen wir zum Ausdruck, dass das Gedenken an die Opfer des größten Verbrechens der Menschheit nie ein Ende finden darf, sondern eine ständige gesellschaftliche Aufgabe ist.

Mit dem heutigen Beschluss soll sowohl eine neue Buchpublikation beim Wallstein Verlag in Auftrag gegeben werden, dem bereits verlegerisch bei der Erstausgabe große Verdienste zukamen. Auch bei der jetzigen Überarbeitung ist der Verleger Herr von Wallmoden überaus engagiert, da zahlreiche wissenschaftliche, urheber- und datenschutzrechtliche Fragen geklärt werden müssen. Der Historiker Dr. Jörg Janßen hat bereits 2016 Vorarbeiten für einen tabellarischen Namensindex mit Stammdaten für den neu zu erarbeitenden Altkreis Osterode geleistet. Ohne ihn könnten wir dieses Vorhaben nicht umsetzen. Schließlich ist dem Stadtarchiv der Stadt Göttingen zu danken, mit dem gemeinsam ein zeitgemäßes digitales Gedenkportal eingerichtet wird, dass laufend aktualisiert, gepflegt und ergänzt werden soll.

Mich freut es aber auch besonders, dass die Kreistagsfraktionen neben der Online-Datenbank der Biografien jüdischer Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus in unserem Kreisgebiet verfolgt, deportiert und ermordet wurden, auch einer repräsentativen Buchpublikation zugestimmt haben. Ein solches Buch soll vor allem unseren Schulen und Bibliotheken zu Bildungszwecken zur Verfügung gestellt werden. Es hat aber auch eine Repräsentationsfunktion, in dem es den Nachkommen der jüdischen Opfer als Geschenk überreicht werden soll und damit bekommt das Buch einen bleibenden Wert.

Zuletzt möchte ich auch den engagierten Mitarbeitenden der Kulturverwaltung danken, Frau Dr. Reichmann, Herrn Just und Herrn Kreisrat Finger, die uns bei der nicht unkomplizierten und unkonventionellen Vorbereitung dieses Projekts sehr unterstützt haben.

Ich danke Ihnen allen für die Bereitschaft, in dieser schwierigen Haushaltssituation die notwendigen finanziellen Mittel für dieses Projekt bereitzustellen.


Es gilt das gesprochene Wort