Lieber Bernhard,

wir sind uns – wenn ich das richtig erinnere – zum ersten Mal anlässlich der Landtagswahlen 1994 begegnet. Du damals als ein aufstrebender junger Politiker mit dem erkennbaren Willen, etwas zu bewegen. Ich hatte seinerzeit das Vergnügen, dem SPD-Ortsverein Gieboldehausen vorzusitzen. Mein nachhaltiger Eindruck aus dieser ersten Begegnung lässt sich zusammenfassen in den Begriffen Tatkraft – Handlungsorientierung – strategische Klugheit und Teamgeist – bei gelegentlich sichtbarer Neigung zum Solisten, was in der Politik nicht unbedingt ein Widerspruch ist, sondern situationsbedingt durchaus ein Erfordernis.

Beide haben wir damals aber ganz sicher nicht daran gedacht, dass wir die letzten 10 Jahre unserer jeweiligen kommunalpolitischen Tätigkeit in mehr oder weniger parallelen Strukturen verbringen würden: Du als Landrat des Landkreises Göttingen – und ich zunächst als stellv. Landrat und dann Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion.

Was diese 10 Jahre deiner Tätigkeit für den Landkreis Göttingen und für die Region Südniedersachsen bedeuten, will ich an dieser Stelle nicht wiederholen. Statt dessen kann ich auf die sehr gelungene Abschiedsveranstaltung am 6. Oktober verweisen, auf die Ausführungen unseres Ministerpräsidenten Stephan Weil und die der Ersten Kreisrätin Christel Wemheuer, sowie auf die vielen Aspekte deines Wirkens, die in dem dir gewidmeten Buch – das ich übrigens für inhaltlich sehr gelungen halte – zu hören waren bzw. nachzulesen sind. Dort ist alles gesagt, deine Wirksamkeit beschrieben worden. Nur Stichworte dazu: Fusionen anstoßen und umsetzen – Haushaltskonsolidierung – Aufsteigerregion Südniedersachsen – Vernetzung der vielen Akteure der Region in Wirtschaft, Kultur, Zivilgesellschaft – kluge Bündelung der Interessen der regionalen Player Land – Landkreis – Städte und Gemeinden – und, obwohl Helmut Schmidt für solche Fälle den Arztbesuch empfahl: Visionen für die Zukunft Südniedersachsens entwickeln.

Stephan Weil und Christel Wemheuer haben dein Wirken sprachlich verdichtet und in nur drei Worte gefasst:

Gestalten – statt verwalten.

Ein Politiker mit Tatendrang also, übrigens ganz in der Tradition der Großfamilie Reuter, der Landrat Bernhard Reuter entstammt. Ich zitiere ein bedeutendes Familienmitglied, den Berliner Nachkriegsbürgermeister Ernst Reuter, der das in seiner Art auf den Punkt brachte, als er sagte:

Wir müssen einsehen, dass unsere Worte für weniger wichtig gehalten werden als unsere Taten.

Platter und zugegeben weniger feinsinnig ausgedrückt und zudem semantisch etwas schief klingt diese Verbindung von Tatkraft und Zukunftsorientierung beim deutschen Pop- und Rock-Philosophen Udo Lindenberg, wenn er so formuliert:

„Andere denken nach, ich denke vor ...“

Ein Detail, lieber Bernhard, will ich dann doch noch mal in unsere Erinnerung rufen, weil ich in den verschiedenen Reden dazu bisher nichts gehört habe und weil sich große Teile der SPD-Fraktion über diesen Vorgang damals eher amüsiert haben und ihn völlig anders beurteilten, als die meisten Kreispolitiker*innen insbesondere der politischen Konkurrenz. Ich zitiere Ilse Stein aus dem Tageblatt vom 2.12.2011 – du warst also gerade 4 Wochen im Amt:

„Schon früh wurde gemunkelt, Reuter habe Chancen, ins Team des Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt 2013 aufgenommen zu werden. Was er stets mit einem Lächeln abtat. Nun ist die Katze aus dem Sack. Die hannoverschen Politik-Kollegen handeln Reuter ganz offen als möglichen künftigen Innenminister. Und bei der CDU geht schon wieder das interne Rennen darum los, wer bei einer dann eventuell nötigen Neuwahl für den Landratsposten kandidieren könnte.“

Wir wissen: Die CDU musste ihr internes Schaulaufen schnell wieder beenden, die Aspirant*innen wegen Frühstarts zurückpfeifen und in die Aufwärmzone schicken – wo sie dann bald die Sportart wechselten. Die Fraktion war damals überhaupt nicht besorgt – aber wir waren auch nicht überrascht.

  1. Wir sind stets vom Verbleib im Landratsamt ausgegangen; das Projekt Fusion war ja noch gar nicht angelaufen und sollte doch vorbereitet und vollendet werden. Und wer wäre denn dafür besser geeignet gewesen als Bernhard Reuter?
  2. war unsere Einschätzung eine ganz andere: Wir dachten nämlich: Donnerwetter, jetzt hat dieser Kreistag, hat diese SPD-Fraktion doch tatsächlich jemanden in den eigenen Reihen, der auf Landesebene nicht nur für ministrabel gehalten wird, sondern der sogar für das so wichtige Amt als Innenminister im Gespräch ist. Wir waren in der Fraktion über diese Anerkennung jedenfalls nicht überrascht. Aber: So etwas hatte man bis zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht gehört.
  3. Uns war aber auch klar, dass der Landkreis durch diese Wertschätzung künftig auf der Landesebene absolut prominent vertreten sein würde. Und solche Verbindungen nutzt man dann dauerhaft – und das hat Bernhard Reuter in exzellenter Weise getan. Dafür gibt es allen Grund ihm zu danken.

Lieber Bernhard,

für die kommenden Jahre wünscht die SPD-Fraktion dir, deiner Reinhild und deiner Familie alles Gute, vor allem aber Gesundheit, damit ihr die nun kommenden Jahre auch richtig genießen könnt. So ganz können wir aber noch nicht glauben, dass es dir tatsächlich möglich ist, komplett loszulassen. Wir warten das mal in Ruhe ab.

Abschließend und mit Augenzwinkern der Bogen von der Politik zur Musik: Du sprichst ja gelegentlich selber davon, dass du vielleicht dein Cello wieder etwas stärker traktieren möchtest. Cellisten leiden ja unter gruppendynamischen Aspekten im Orchester unter einer gewissen Nichtbeachtung durch andere, eher im Vordergrund musizierende Orchesterstimmen. Sie sind vom kompositorischen Aufbau eher Teamplayer, wuseln meistens irgendwo im Mittelfeld der Musik, verdoppeln oft andere Stimmen und sind selten Solisten. Das Instrument passt also irgendwie nur eingeschränkt zu dir. Für die Wahrnehmung Vieler spielst du eher die 1. Geige. Aber: Es gibt auch ein paar Cellosolisten von höchstem Rang. Und einer davon ist Rostropovich. Und so erkennen wir als SPD-Fraktion in dir dann auch eher so etwas wie den Rostropovich unter den deutschen Cello spielenden Landräten … Und deswegen bekommst du von uns vorab diese CD, auf der zwei alte, weiße Männer hervorragend musizieren: Karajan und eben – Rostropovich.